Krankenhausreform

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    Ambulantisierung: Geordnete Reform statt kalter Strukturbereinigung

    lau/cmk/aerzteblatt.de, 07.07.2022

    Berlin – Die Ambulantisierung der stationären Versorgung wird in regionalen Strukturen mit spürbaren Ver­werfungen einhergehen, insbesondere auch mit möglichen Krankenhausschließungen. Wichtig sei deshalb, den Prozess strukturiert anzugehen und einen kalten Strukturwandel zu verhindern. Das forderte der Vor­standsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, gestern bei einer Tagung von RS Medical Consult in Berlin.

    Gaß plädierte dafür, realistisch zu sein, aber den Krankenhäusern dennoch einen geordneten Übergang zu ermöglichen. „Die DKG tritt nicht dafür an, um um jedes Krankenhaus einen Schützengraben zu bauen. Wir stehen für einen konstruktiven Strukturwandel“, erklärte er. „Ich werbe dafür, den Krankenhäusern die Chance zu geben, sich in einem Konversionsprozess darauf einzustellen, statt alles direkt in den Wettbewerb zu werfen.“

    Der Wettbewerb mit den Praxiskliniken würde weniger in ländlichen Räumen stattfinden als in den Groß­städten. „Wir haben überhaupt keine Lust darauf, um die Patienten der Niedergelassenen zu werben.“ Auch deshalb müsse die Ambulantisierung als geordneter Prozess mit staatlicher Unterstützung aufgebaut werden.

    „Wir brauchen ein Investitionsprogramm dafür, dass Krankenhäuser diesen ambulant-stationären Bereich auf­bauen“, forderte er. Dabei müsse ein Schlussstrich unter die bisherige, ungeordnete Vorgehensweise gezogen werden. So gebe es zwischen Bund und Ländern keine Vereinbarung, wie die Versorgung in zehn Jahren aus­sehen solle. Man müsse jedoch klare Zielstellungen und Vorgehensweisen definieren, wenn man endlich vorankommen wolle.

    „Was wir uns wünschen, ist, dass Bund und Länder – die beide Kompetenzen im Krankenhausbereich haben – sich zusammensetzen“, erklärte Gaß. Dabei müssten sie sich auf gemeinsame Orientierungsgrößen einigen, den Ländern aber ihre Zuständigkeiten erhalten. Denn man könne nicht in Berlin einen Generalplan für die gesamte Bundesrepublik machen.

    „Das Dilemma ist: Wir haben seit vielen Jahren ein Durchwurschteln und das führt zu den Verhältnissen, vor denen wir nun stehen“, erklärte Gaß. „Wir stehen vor gewachsenen Strukturen und müssen einen kalten Struk­turwandel befürchten.“ Der anstehende Reformprozess sei deshalb auch „eine Chance, etwas Struktur in unseren unstrukturierten Bereich zu bringen“.

    Dass der Bedarf nach einer stärkeren Auslagerung bisher stationär erbrachter Leistungen besteht, sei auch bei der DKG unstrittig. „Ambulantisierung ist aus unserer Sicht das Zukunftsthema“, sagte Gaß. „Wir müssen sehen, wie wir das steigende Versorgungsbedürfnis der Bevölkerung mit stabilen Beitragssätzen in Einklang bringen. Ambulantisierung kann da einen wichtigen Beitrag leisten.“

    „Wir brauchen keine kalte Strukturbereinigung“

    Das Problem dabei sei nicht, dass zu wenig Geld im System sei, sondern dass es falsch eingesetzt werde. Da stimmte ihm Josef Hecken zu. Der Unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) beklagte, dass das deutsche Gesundheitssystem im Vergleich zu anderen Industrienationen nur einen mittel­mäßigen Output im Verhältnis zum Input realisiere. Es gehe schlicht zu viel Geld durch suboptimale Organisa­tionsstrukturen verloren.

    Auch er plädierte dafür, die Krankenhäuser konstruktiv zu begleiten. „Wir brauchen keine kalte Strukturbereini­gung, sondern einen kontrollierten Übergang“, sagte Hecken mit Blick auf die mögliche Konkurrenz zwischen Krankenhäusern und Praxiskliniken. „Wenn wir das Ding an die Wand fahren wollen, müssen wir den Wett­bewerb der Tüchtigen eröffnen und die Krankenhäuser dabei nicht unterstützen.“

    Es müsse deshalb eine Generalinventur der Leistungen durchgeführt werden, um zu schauen, was man als vor-, nach- oder teilstationäre Behandlung erbringen könne, was von spezialfachärztlichen Ambulanzen über­nommen werden könnte und so weiter. Es sei notwendig, diese Prozesse stufenweise umzusetzen, erklärte Hecken. „Allzu viel Hoffnung habe er allerdings nicht, räumte er ein. „Planvolles Handeln zeichnet die aktuelle Regierung nicht aus.“

    Dem würde Boris Augurzky nur bedingt zustimmen, sitzt der Leiter des Bereichs Gesundheit am Leibniz-Insti­tut für Wirtschaftsforschung doch in der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach berufenen Kranken­hauskommission die für ebensolche geordnete Strukturreformen Vorschläge erarbeiten soll. „Ich glaube, wir können für das Krankenhaus eine neue Rolle definieren“, erklärte er.

    Er denke an Konzepte wie ambulante Großkliniken. „Ich glaube, auch die Niedergelassenen müssen wir ein bisschen bündeln, um die knappen Ressourcen richtig zu nutzen und den wachsenden Bedarf nach Teilzeit­tätig­keit zu begegnen.“

    Dabei stützte Augurzky Gaß’ Auffassung von der wichtigen Rolle der lokalen Politik und ging noch weiter: „Dass wir bundesweit eine DRG und einen Preis haben, ist eigentlich unökonomisch“, sagte er. Man werden sich nicht nur über die diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) allgemein Gedanken machen müssen, sondern auch über Fragen wie Vorhaltefinanzierung und lokale DRG.

    Davon und von der wichtigen Rolle der Lokalpolitik zeigte sich Thomas Mansky, Bereichsleiter Gesundheits­politik beim IGES-Institut, wenig überzeugt. „Wenn ich ein Bürgermeister in einem kleinen Ort bin, betrachte ich das Krankenhaus doch auch nicht aus medizinischer Sicht, sondern als den größten Arbeitgeber vor Ort, den ich noch dazu nicht einmal selbst finanzieren muss.“

    Ein kleines Krankenhaus erziele etwa zehn Millionen Euro Umsatz, ein ambulantes Zentrum vielleicht drei bis vier Millionen. Es sei offensichtlich, dass bei einer solchen Umwandlung auch Arbeitsplätze verloren gehen, samt der negativen Sekundäreffekte wie der Schließung weiterer Gewerbeeinheiten.

    Um die regional unterschiedlichen Verhältnisse zudem in der Vergütung abzubilden, schlage er sogenannte komplex-ambulante DRG vor, die niedriger als stationäre DRG vergütet werden. Dabei müsse man darauf ach­ten, keine Fehlanreize zu schaffen.

    „Es kann nicht Sinn und Zweck der Ambulantisierung sein, nach DRG zu bezahlen“, betonte Johannes Wolf, Referatsleiter Krankenhausvergütung beim GKV-Spitzenverband demgegenüber. „Der Maßstab für ambulante Leistungen ist der EBM und er sollte entsprechend herangezogen werden, aber eben differenzierter als bisher.“

    KBV schlägt zwei Weiterentwicklungsstufen vor

    Bernhard Gibis von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) plädierte dafür, die strikte Trennung zwi­­schen ambulant und stationär bezüglich der Nachtgrenze aufzuheben. Die Aufteilung „über Nacht ist stationär und tagsüber ambulant“, sei nicht mehr sinnvoll. Stattdessen wären die verlängerte Nachbeobachtung und Hybrid-DRGs künftig wichtig.

    Dafür sei aber ein stabiler Finanzierungssockel gefordert, der durchfinanziert und nicht abhängig von einzel­nen Kassen und Selektivverträgen sei, so Gibis. „Wir reden aber nicht nur von einfachen Eingriffen die ambu­lant durchgeführt werden sollen, sondern auch von komplexen Eingriffen. Gerade auch die Themen Nachbe­ob­achtung und Komplexversorgung werden uns in den nächsten Jahren beschäftigen“, so Gibis.

    Die KBV schlägt Gibis zufolge ein zweistufiges Weiterentwicklungsmodell vor. In einem ersten Weiterentwick­lungsschritt sollte eine Übernachtung künftig zur ambulanten Behandlung gehören. In einem zweiten Schritt könnte die Überbrückungszeit zwischen 24 Stunden und 72 Stunden als Hybrid-DRG mit ausgewiesenem ärzt­lichem Anteil sowie einer Teilnahmeoption für Vertragsärzte behandelt werden. Ab einer Liegedauer von 72 Stunden und länger würden Fälle als vollstationär abgerechnet. Diese Definition folge auch internationa­len Regelungen, sagte Gibis.

    Die Einführung dieser Weiterentwicklung laufe bereits auf mehreren Schienen, so Gibis. Etwa bei der geplan­ten Neureformierung des Paragrafen 115 Sozialgesetzbuch (SGB) V zu den dreiseitigen Regelungen zwischen Krankenkassen, Krankenhäusern und Vertragsärzten. Auch in Gesprächen mit der DKG werde derzeit über diese Möglichkeiten gesprochen. Und zuletzt beschäftige sich auch die Krankenhauskommission mit diesem Thema, die für die Bundesregierung Empfehlungen für Grundlagen der Krankenhausreformen ab 2023 erar­beitet.

    Rechtliche Hürden auf dem Weg zur Ambulantisierung

    Auf die rechtlichen Besonderheiten wies die Fachanwältin für Medizinrecht, Anke Hübner, hin. Es ergäben sich einige rechtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit der Erweiterung des Katalogs für ambulant durch­führbarer Operationen, so Hübner. Das Bundessozialgericht (BSG) hatte erst Ende April entschieden, dass Krankenhäuser wesentliche Leistungen ihres Versorgungsauftrags nicht auf Dritte auslagern dürfen.

    Konkret hatte ein Krankenhaus in Baden-Württemberg eine an Brustkrebs erkrankte Versicherte während ihrer stationären Behandlung an eine nah gelegene Strahlentherapiepraxis überwiesen, die die strahlenthera­peu­tische Leistung erbrachte. Das Krankenhaus wollte aber bei der Krankenkasse die Leistung entsprechend abrechnen, die Kasse verweigerte hingegen die Zahlung.

    In der Pressemitteilung vom 27. April erklärte das BSG dazu: „Zwar können Krankenhäuser auch Leistungen Dritter abrechnen, die für Behandlungen von ihm veranlasst wurden. Das Gesetz erlaubt es jedoch nicht, dass das Krankenhaus wesentliche der von seinem Versorgungsauftrag umfassten Leistungen regelmäßig und planvoll auf Dritte auslagert, die nicht in seine Organisation eingegliedert sind.“ Laut Hübner könne es folg­lich darauf verstärkt ankommen, ob der personelle Einsatz von Dritten bereits ohnehin in das Krankenhaus eingegliedert sei.

    Weiter habe das Krankenhaus laut BSG-Entscheidung für die im Versorgungsauftrag ausgewiesenen Bereiche die räumliche, apparative und personelle Ausstattung zur Erbringung der Leistung vorzuhalten. Dieses Urteil werde damit auch auf die Debatte zur Ambulantisierung noch Folgen haben, meinte Hübner. Sie sei nun ge­spannt auf die Urteilsgründe, die die Entscheidung näher erläutern. Diese werden ab Ende Juli erwartet, so Hübner. Die Entscheidung des BSG könne aber erneut zu Unruhen und Abrechnungsstreitigkeiten bei den Krankenhäusern führen.

    Hübner berichtete außerdem von „enormen Widerständen“, die niedergelassene Ärzte erfahren würden, wenn sie etwa im Rahmen der besonderen Versorgung nach Paragraf 140a SGB V entsprechende Verträge mit den Krankenkassen abschließen wollen. Hier seien die Verhandlungen um die Vergütung mit den Kassen sehr schwierig und die Ermächtigung vom Zulassungsausschuss sei auch schwer zu erhalten, so Hübner. Sie sehe zwar Bemühungen bei allen Leistungserbringern, den Fokus stärker auf die ambulante Versorgung zu setzen. Allerdings gebe es noch zu viele rechtliche Hürden.

    Der Gesetzgeber sei deshalb aufgefordert, Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation zwischen Kran­ken­häusern und anderen, insbesondere ambulanten Leistungserbringern näher zu regeln, betonte Hübner. Man­che Bundesländer hätten diese Probleme auch eher auf dem Schirm als andere. Im Krankenhausplan von Baden-Württemberg würde die gemeinsame Nutzung von Strahlentherapiegeräten verankert sein, in Bayern sei dies aber etwa nicht der Fall, erklärte Hübner.

     

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  • G-BA und Regierungskommission drängen auf Strukturfonds

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    G-BA und Regierungskommission drängen auf Strukturfonds

    Von Thomas Trappe, Tagesspiegel Background, 26.10.2023

    Bei einem Fachforum geht G-BA-Chef hart mit den Reformplänen von Minister Lauterbach ins Gericht. Ebenso wie Regierungskommissionsmitglied Karagiannidis fordert Josef Hecken einen Strukturfonds. Die DKG sieht eine Mogelpackung im jüngsten 5-Milliarden-Hilfspaket.

    Für Thomas Lemke, Vorstandschef der Sana Kliniken AG und Vizepräsident bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), ist es ein kleines Schauspiel, und zwar kein vergnügliches. Am Anfang habe eine Ministerpräsidentenkonferenz gestanden, die vor zehn Tagen vom Bund fünf Milliarden Euro Nothilfen für die Kliniken forderte. Im zweiten Akt seien „wie durch ein Wunder“ diese fünf Milliarden Euro in einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOKs aufgetaucht. Nämlich als liquide Mittel, die, so Lemke, „bis auf eine große Krankenkasse“ alle anderen als Rücklagen für noch ausstehende Pflegebudgetzahlungen vorliegen hätten. Herausgekommen sei bei der Inszenierung, so jedenfalls Lemkes Lesart, eine Änderung beim Transparenzgesetz, mit der die von der MPK und den Gesundheitsministern geforderten Summen nun doch noch flössen. Erneut sei damit die Glaubwürdigkeit der Politik aufs Spiel gesetzt worden, sagte Lemke gestern beim Expertenforum der Unternehmensberatung RS Medical Consult. Denn die fünf Milliarden seien schlicht „fürs Schaufenster“ – zur Besänftigung der Länder, aber eben nicht zum Nutzen der Kliniken.

    Schon vorgestern beklagte die DKG, dass es um Geld gehe, was den Häusern sowieso zustehe, nicht um zusätzliche Hilfe. Lemke verdeutlichte nun, dass es letztlich wohl nicht einmal in den Häusern ankommen werde. „Das wird direkt weitergeleitet an die Banken“, meinte der Sana-Chef, schließlich hätten die Kliniken in den zurückliegenden Jahren die nicht überwiesenen Pflegebudgets vorstrecken müssen, etwa über Kontokorrentkredite. Konkret seien es bei den Sana Kliniken 130 Millionen Euro gewesen, die vorfinanziert werden mussten, sagte Lemke. Die Sana Kliniken AG betreibt bundesweit 51 Häuser: Rechnet man das ausgelegte Pflegebudget hoch auf alle Kliniken Deutschlands, kommt man tatsächlich auf eine Summe im mittleren einstelligen Milliardenbereich.

    Der G-BA wird nicht gefragt

    Dass ein DKG-Vize wenig warme Worte für die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplanten Krankenhausreformen übrig hatte, konnte dabei nicht überraschen. Die Häuser kämpften gerade um „die nackte Existenz“, sagte Lemke, der Fokus auf die Vermeidung von Insolvenzen und Zahlungsausfällen binde jede Kraft von Klinikmanagern, sich den von der Politik „ins Stammbuch geschriebenen Aufgaben“ zu widmen. So weit, so bekannt.

    Pessimistisch klang es gestern aber auch aus einer anderen Ecke. Josef Hecken, der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), machte dabei aber zumindest eine Gemeinsamkeit mit der DKG aus. Nämlich die, von Lauterbach bei der Reform „vor die Tür gesetzt“ worden zu sein. Er werde bei der Krankenhausreform – und auch sonst – von Lauterbach „nicht viel um Rat gefragt“, und wenn der G-BA etwas beschließe, folge gerne auch mal eine Beanstandung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Hecken spielte damit auf die Entscheidung Lauterbachs im September an, die Ersteinschätzungs-Richtlinie des G-BA zu beanstanden: Inzwischen klagt der G-BA gegen diese Beanstandung.

    Begründet wurde die Beanstandung seinerzeit vom BMG auch damit, dass die Richtlinie Regelungen unterliefen, die später mit Notfall- sowie Rettungsdienstreform eingeführt werden sollen. „Bis dahin wird es ja sicher noch ein paar Wochen dauern“, ironisierte Hecken, „es wäre schön gewesen, in der Zwischenzeit in den Notaufnahmen Platz zu machen für die Patienten, die behandlungsbedürftig sind.“ Auch am Zeitplan für die große Krankenhausreform zweifelte Hecken, plädierte gleichzeitig für Tempo. Andernfalls komme man ins „Gestrüpp“ der Landtagswahlen im kommenden Jahr, was seriösen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern nicht dienlich sei.

    Kritik an Leistungsgruppen-Modell

    Hecken machte schon frühzeitig deutlich, dass er sich bei den Vorarbeiten zur Krankenhausreform mehr Mitsprache des G-BA gewünscht hätte, vor allem, weil dieser mit dem gestuften System der Notfallversorgung bereits ein Instrument vorgelegt habe, auf das man hätte aufsetzen können. Dies sei nicht geschehen, aber auch von den Vorschlägen der Regierungskommission sei nach aktuellem Stand „nicht mehr ganz so viel“ übrig, was er bedauere. Als „hochproblematisch“ sieht Hecken das Zugeständnis an Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU), im Bund zunächst das NRW-Leistungsgruppenmodell anzuwenden, inklusive weniger Ergänzungen. Mit maximal 70 Leistungsgruppen sei eine „Binnendifferenzierung“ schlicht nicht möglich, könnte Strukturvoraussetzungen für spezialisierte Eingriffe nicht detailliert genug definiert werden. Verschärft werde dies durch den Abschied von der Leveleinteilung, beklagte Hecken.

    Der G-BA-Chef scheint sich damit abgefunden zu haben, dass der G-BA bei der Krankenhausreform weitgehend zum Zuschauen verdammt ist, wie er deutlich machte. Für Länder und Bund sei der G-BA mittlerweile offenbar „das Feindbild, alles, was der G-BA beschlossen hat, muss im Orkus der Geschichte verschwinden“. Er jedenfalls wolle für sein Gremium reklamieren, dass es nicht „in Mitverantwortung stehe für das, was nächstes Jahr in Kraft treten soll“.

    Trotz des präsentierten Fatalismus hofft Hecken weiterhin auf Anpassungen am Gesetz in Richtung dessen, was von der Regierungskommission vorgelegt wurde. „Ansonsten ist es eine vertane Chance, dann passiert erst mal 15 Jahre wieder nichts.“ Zwingend begleitet werden müsste die Krankenhausreform – die nach derzeitigen Plänen frühestens Ende der 20er-Jahre voll wirksam wird – durch einen Transformationsfonds, mit dem der Um- und Abbau von Kliniken finanziell begleitet würde. Nur so könnten ohne politische Verwerfungen vor Ort in den kommenden acht bis zehn Jahren Klinikreformen im Sinne der Regierungspläne angepasst werden. Immerhin: Einen Transformationsfonds brachte jüngst das BMG schon vorsichtig in die Diskussion ein, auch wenn dabei über konkrete Höhen offiziell noch geschwiegen wird.

    Drittelfinanzierung für Strukturfonds?

    Christian Karagiannidis, Universitätskliniker und führendes Mitglied der Regierungskommission, bezeichnete den Strukturfonds ebenfalls als unverzichtbar für das Gelingen der Reform. Nachzudenken wäre hier über eine Drittelfinanzierung zwischen Bund, Ländern und Krankenkassen. Nötig seien laut Karagiannidis bundesweit etwa 1000 bis 1100 Standorte, bei denen viele aus Fusionen mehrerer kleiner Häuser hervorgehen könnten. Personell sei der „Istzustand der deutschen Krankenhauslandschaft in keinem Fall haltbar“, der Schlüssel zur Reform sei das „exorbitant hohe Ambulantisierungspotenzial“ in den Kliniken.

    Wie zuvor Hecken sah auch Karagiannidis in der Beschränkung auf maximal 70 Leistungsgruppen ein großes Problem. Die Regierungskommission hatte doppelt so viele vorgeschlagen, optimal seien „wahrscheinlich 170“. Es gelte nun aber, mit den Vorgaben zu arbeiten. Im Lichte der teils hitzigen Diskussion beim Expertenforum plädierte Karagiannidis dafür, in der Diskussion „abzurüsten“, die Reform werde nur „im Konsens glücken“. Auch die Zusammenarbeit mit dem G-BA, nicht zuletzt der Rückgriff auf das gestufte System der Notfallstrukturen, sei dafür nötig. „Sonst kommen wir aus dieser Krise nicht heraus.“ Mit Blick auf den für November erwarteten Referentenentwurf zur Reform prophezeite Karagiannidis noch deutliche Änderungen. „Die durchgestochenen Punkte würde ich nicht auf die Goldwaage legen“, sagte er.

    Sana-Chef Lemke wiederholte indes seinen Appell von Jahresbeginn, bei der Krankenhausreform ehrlich zu kommunizieren – im Moment würden von Lauterbach die eigentlichen Ziele verschleiert. „Er ist zutiefst davon überzeugt“, unterstellte Lemke dem Minister, „dass eine zentral organisierte Versorgung das Richtige ist“, würden die Ziele umgesetzt, „werden wir in eine planwirtschaftliche Staatsmedizin hineinwandern“. Den Vertrauensverlust, der durch die jüngst beschlossene Fünf-Milliarden-Aktion hervorgerufen werde, sei da nur die Spitze des Eisbergs. 310 Millionen Euro, rechnete Lemke vor, seien bis jetzt vom Steuerzahler schon aufgewendet worden, um die (bislang in ihrer Zahl noch überschaubaren) Krankenhausinsolvenzen abzufedern. Es könne nicht Botschaft der Politik sein, warnte Lemke, mit Klinikpleiten Strukturpolitik zu machen – weder finanziell sei dies nachhaltig, schon gar nicht aber gesellschaftspolitisch. „Mir fehlt hier einfach das systemische Denken“, so der DKG-Vize.

     

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  • Krankenhausreform: Kleine und mittlere Kliniken in Sorge

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    Krankenhausreform: Kleine und mittlere Kliniken in Sorge

    cmk/aerzteblatt.de, 26.10.2023

    Berlin – Kleinere und mittlere Kliniken sorgen sich vor der geplanten Krankenhausreform. Das betonte Thomas Lemke, Vorstandvorsitzender der Sana Kliniken AG und Vizepräsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), gestern auf einem Expertenforum der Unternehmensberatung RS Medical Consult.

    Universitäts­kliniken und kommunale Großkliniken fühlten sich bei den Reformideen hingegen gut abgeholt und seien, unabhängig von den eingeführten Maßnahmen, der Überzeugung am Netz zu bleiben.

    In vielen Krankenhäusern gehe es gerade aber um das „nackte Überleben“, so Lemke. Die Liquiditätssicherung sei derzeit das wichtigste Thema in den Kliniken. Er bekräftigte damit die Forderung nach kurzfristigen finan­ziellen Hilfen, die die Krankenhäuser schon seit längerem einfordern.

    Lemke sieht zudem die geplante Standortkonzentration kritisch. Gesundheitspersonal lasse sich nicht einfach umverteilen. Es verlasse lieber das System als jeden Tag viele Kilometer zu fahren, sagte er.

    Außerdem warnte er vor einer möglichen Rationierung von Gesundheitsleistungen. Mit dem geplanten Trans­parenzverzeichnis und der Einteilung von Kliniken in Level würden Patientinnen und Patienten auch mit klei­neren Eingriffen zu großen Kliniken gehen, prognostizierte Lemke. So würden die ohnehin schon knappen Ressourcen in den großen Kliniken weiter belastet werden.

    Er fürchtet zudem eine „zentralistische Einordnung“ der Leistung in Leistungsgruppen und eine schleichende Einführung der Selbstkostendeckung, die zu einer Verknappung des Angebots führen werde. Damit sei der Weg in eine staatlich gelenkte Medizin vorgezeichnet, so Lemke. Stattdessen brauche es ein ganzheitliches auf Anreizen basierendes System, das den Patienten im Blick hat.

    Übergangsfinanzierung und Aufhebung der Sektorengrenzen gefordert

    Konkret forderte Lemke einen Transformationsfonds und eine stärkere Aufhebung der Sektorengrenzen im Zuge der Krankenhausreform. Die doppelte Facharztschiene könne sich Deutschland insbesondere im Hinblick auf den demografischen Wandel nicht mehr leisten, erklärte Lemke.

    80 Prozent der jüngeren Ärztinnen und Ärzte, die in den Sana Kliniken arbeiteten, wollen seinen Angaben zu­folge nur noch im Angestelltenverhältnis arbeiten und nicht unternehmerisch tätig werden, sprich eine eigene Praxis aufmachen. Außerdem befürwortet er mehr Bürokratieentlastung sowie eine Konvergenzphase.

    Hinsichtlich einer besseren Qualität, die im Zuge der Reform erreicht werden soll, müssten im Bereich der Inne­ren Medizin alle Schwerpunkte stärker berücksichtigt werden, betonte der Internist Dirk Müller-Wieland und Vor­sitzender der Kommission der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) „Struktur der Kranken­versorgung“. Das gelte auch für die Weiterbildung, so Müller-Wieland.

    Außerdem sei es wichtig, die Qualitätsstandards der Fachgesellschaften bei der Erarbeitung der Leistungs­gruppen miteinzubeziehen. Entsprechende Qualitätssiegel und Zentren müssten ebenfalls mitgedacht werden. Diese Informationen sollten zudem patientenverständlich zugänglich gemacht werden.

    Müller-Wieland äußerte sich hingegen kritisch bei der Frage der Zuordnung aller diagnosebezogenen Fallpau­schalen zu den Leistungsgruppen. Dies sei medizinisch nicht sinnvoll, so Müller-Wieland. Durch eine Profilbil­dung könnten aber differenzierende und qualitätsorientierende Kriterien künftig stärker umgesetzt werden. Außerdem pochte er auf eine Vernetzung vor Ort und den Ausbau der Digitalisierung im Gesundheitswesen.

    Hinsichtlich der Digitalisierung fehle es allerdings an einer Gesamtstrategie, beklagte Kurt Marquardt, Ko­ordinator für wissenschaftliche IT-Projekte des Universitätsklinikums Gießen und Marburg. Prinzipiell gut gemeinte Gesetze hätten in den vergangenen Jahren lediglich Insellösungen gebracht, so Marquardt.

    Es fehle an einem Umsetzungsplan, der die Abhängigkeit und Priorisierungen zwischen den einzelnen Zielen abbildet, bemängelte er. Zudem könnten insbesondere kleine Krankenhäuser mit überschaubaren IT-Abtei­lungen von rund vier bis sechs Personen die Flut von aktiven und zurückliegenden Gesetzen kaum bewältigen, sagte Marquardt weiter.

    Es brauche zwar verstärkt Interoperabilität, um verschiedene Lösungen miteinander zu verbinden. Allerdings sei es hochkomplex, interoperable Standards (Fast Healthcare Interoperability Resources, FHIR) im Krankenhaus zu erstellen, so Marquardt. „Kleinere und mittlere Krankenhäuser stehen da im Regen“.

    Er sorgt sich diesbezüglich vor geplanten Sanktionierungen von 1,5 bis zwei Prozent des stationären Budgets, sollten Kliniken bestimmte Digitalprojekte bis Ende 2027 noch nicht umgesetzt haben. Zu den Projekten gehören etwa die Entwicklung eines Patientenportals oder eines digitalen Medikationsmanagements.

     

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